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24.04.2024 - Abschlussbericht zur Tagung in Lahr Lahr, Langsdorff und Lateinamerika

Am Donnerstag, 18. April 2024, dem 250. Geburtstag des Naturforschers und Weltreisenden Georg Heinrich von Langsdorff, begann in Lahr die Tagung "Lahr, Langsdorff und Lateinamerika", die bis Samstag, 20. April 2024, dauerte.

Co-Organisator Dr. Wolfgang G. Müller, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Lahr, begrüßte zunächst die rund 180 Gäste des Eröffnungsabends, ehe Prof. Dr. Ottmar Ette in seinem Vortrag drei große Reisende und Naturforscher in den Kontext einer kleinen Geschichte der Globalisierung von 1500 bis heute stellte: Georg Forster, der im englischen Auftrag an der zweiten Weltumseglung von James Cook teilnahm, Alexander von Humboldt, der seine Forschungsreisen aus eigenen Mitteln realisierte sowie Georg Heinrich von Langsdorff, der im russischen Auftrag unterwegs war. Gemeinsam sei ihnen unter anderem die Mehrsprachigkeit gewesen, so Ette: „Zwischen den Sprachen schwimmen“ zu können sei elementar für Weltverständnis und -erkenntnis. Verschiedene Sprachen öffneten unterschiedliche Zugänge zur Welt und damit einen Sinn für deren Vielfalt und das Andere.

In den folgenden zwei Tagen vertieften weitere Vorträge die Auseinandersetzung mit Langsdorff. Dr. Wolfgang G. Müller sprach etwa über das Schicksal der Auswanderinnen und Auswanderer aus dem Südbadischen und dabei insbesondere aus dem Lahrer Raum, die Langsdorff für die von ihm in Brasilien gegründete Kolonie Fazenda Mandioca anwarb.

Am Samstag, 20. April 2024, referierte Prof. Dr. Michael Zeuske über den in Lahr gebürtigen Kaufmann Christian Wilhelm Jamm, der von etwa 1845 bis 1858 in Havanna/Kuba tätig war und dort mit dem Verkauf von Luxustextilien an die kreolische Oberschicht und von schlesischem Leinen an Sklaven- und Plantagenbesitzer ein Vermögen machte. Die Sklavinnen und Sklaven auf Kuba wurden jährlich neu mit Leinen eingekleidet. Nach seinem Tod vererbte Christian Wilhelm Jamm der Stadt Lahr unter vielem anderen seine prachtvolle Villa Jamm und den sie umgebenden Park – ein Zeichen dafür, wie eng verflochten die transatlantischen Ökonomien im Zeichen der damaligen Globalisierung mit dem Sklaverei-Kapitalismus waren.

Eine Podiumsdiskussion zum Thema „Beziehungen der Europäischen Union zu Lateinamerika – Stand und Perspektiven“ weitete den Blick zudem auf die Gegenwart und in die Zukunft. Unter der Leitung des Lateinamerikaexperten und stellvertretenden Direktors der Stiftung Politik und Wissenschaft Prof. Dr. Günter Maihold diskutierte eine Runde von Spezialisten den unbefriedigenden Stand des aktuellen Verhältnisses zwischen Europa und Südamerika. Als „in Partnerschaftssymbolik erstarrt“ charakterisierte Maihold die Situation, was der ehemalige deutsche Botschafter in Brasilien, Dr. Georg Witschel, zwar zustimmend kommentierte, aber ergänzte: „Brasilien ist zu groß, um abgeschrieben zu werden.“ Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Arbeitskreises Lateinamerika Peter Weiß verwies aus eigener Erfahrung auf das Spannungsverhältnis zwischen Jair Bolsonaro und Bundeskanzlerin Angela Merkel, das etwa den Abschluss des Mercosur-Abkommens und somit die größte Freihandelszone der Welt verhindert und verzögert habe. Der Romanist und wissenschaftliche Leiter der Gesamttagung Prof. Dr. Ottmar Ette öffnete die Diskussion vor der großen Zuhörerrunde in das kulturelle Spektrum. Das schwindende Gewicht der Fremdsprachen Spanisch und Portugiesisch wurde dabei ebenso thematisiert wie auch der Wechsel von einer ursprünglich katholischen hin zu einer evangelikalen Hegemonie im Bereich der religiösen Konfessionen.

Am Ende der Tagung wurde die Ausstellung „Die Langsdorff-Expedition – Vor deinen Augen“ der brasilianischen Künstlerin Aline Xavier in der Villa Jamm eröffnet. Xavier konnte im russischen St. Petersburg den Nachlass des Weltreisenden einsehen. In Fotos und Videos dokumentiert sie kolonialistische und museale Wissens- und Weltaneignung und kontextualisiert sie. Die Ausstellung ist noch bis einschließlich Sonntag, 8. September 2024, in der Villa Jamm im Stadtpark Lahr zu sehen.

„Die Tagung 'Lahr, Langsdorff und Lateinamerika' hat im wunderschönen Ambiente der südbadischen Stadt Lahr das Kunststück vollbracht, die vielfältigen Beziehungen herauszuarbeiten, welche einen Ort im Schwarzwald auf den unterschiedlichsten Ebenen mit der europäischen Welt verbinden“, kommentierte Prof. Dr. Ottmar Ette abschließend: „Die von der Stadt Lahr herausragend organisierte Tagung war ein Augenöffner.“ „Ein hochkarätiges Symposium, das Lahr mit der Kulturgeschichte des Reisens, der Geschichte Lateinamerikas und der Karibik verbunden hat“, schloss sich Prof. Dr. Michael Zeuske an.

 

Resümee Prof. Dr. Ottmar Ette, Potsdam, Direktor des Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS) an der Hunan Normal University in Changsha, China
„Die Tagung 'Lahr, Langsdorff und Lateinamerika' hat im wunderschönen Ambiente der südbadischen Stadt Lahr das Kunststück vollbracht, die vielfältigen Beziehungen herauszuarbeiten, welche einen Ort im Schwarzwald auf unterschiedlichsten Ebenen mit der europäischen Welt verbinden. Die Figur des Weltreisenden Langsdorff, dessen 250. Geburtstag die Stadt Lahr feierte, wurde als Naturforscher wie als Mensch ebenso plastisch herausgearbeitet wie die Zusammensetzung und das Schicksal der Auswanderer, die sich aus dem Lahrer Raum nach Brasilien aufmachten. Die für viele sicherlich noch immer überraschende Entdeckung, dass der Stadtpark und die darin befindliche Villa Jamm mit dem gewaltigen Reichtum verbunden sind, welcher aus der spanischen Kolonie Kuba auch in den mitteleuropäischen Raum abfloss, zeigte anschaulich, wie eng verflochten die mit Sklaverei-Kapitalismus verknüpften transatlantischen Ökonomien im Zeichen der damaligen Globalisierung waren. Die von der Stadt Lahr herausragend organisierte Tagung war ein Augenöffner.“

 

Resümee Prof. Dr. Michael Zeuske, Leipzig, Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS) an der Universität Bonn
„Christian Wilhelm Jamm ist für Historiker ein schwieriger Untersuchungsgegenstand: Es gibt kaum Archivmaterialien direkt zu ihm – ein Mann ohne Skandale, ohne Rechtshändel mit teuren Anwälten, ohne Liebschaften und ohne illegale Kinder mit Sklavinnen (wie viele andere deutschsprachige Kaufleute), keine Heirat auf Kuba, etc. Das Kuba der industrialisierten Second Slavery, eine spezielle Form des Sklaverei-Kapitalismus, auch Cuba grande („großes Kuba“) genannt, war damals 1. Welt für Geschäftsleute; die meisten deutschen Territorien noch nicht einmal 2. Welt. Jamm war von circa 1845 bis 1858 in Havanna, wo er die Firma 'C.W. Jamm', später die Firma 'C.W. Jamm & Co.' führte. Havanna, das heutige 'La Habana Vieja', der Touristenmagnet, war damals eine alte, schwer befestigte Stadt mit schlechten Straßen, Wasser- und Müllproblemen, sehr vielen Epidemien – Pocken, Cholera, Gelbfieber/Dengue – und Hurricanes (ciclones) wie der sehr verheerende Hurricane San Francisco de Borja von 1846. Zugleich hatte Havanna damals einen der modernsten Häfen der Welt mit sehr modernen Lagerhaussystemen (almacenes) und Eisenbahn- sowie Dampferanbindung. Die Firma und der Name Christian Wilhelm Jamm sind glücklicherweise in einem der überlieferten Adressbücher (anuario) von 1859 zu finden. Die Adresse und der Ort seiner Firma sind dort mit 'Calle Mercaderes 15', einer Art Wallstreet Havannas, angegeben. Den heutigen Ort dieser Adresse von 1859 auszumachen war nicht einfach. Drei heute noch existierenden Häuser der Calle Mercaderes kommen in Frage. Jamm führte einen 'Stoffladen' mit riesigen Mengen an Luxustextilien, aber auch Massenware schlesischen Leinens (das in Riesenmengen für Sklavenbekleidung gekauft wurde). Seine Kunden waren immer wohlhabende Menschen, oft aus den Familien reichster Sklavenhändler und Sklaven- sowie Plantagenbesitzer (beziehungsweise deren Verwalter). Die Frauen kauften meist die Luxusstoffe; der Hauptgewinn von Jamm (aus dem sich sein in Lahr realisiertes Vermögen speiste) entstand aber wohl aus dem Verkauf von Sklaven-Leinenstoffen. Mit dem Ziel des Verkaufs solchen Sklaven-Leinens gründete Jamm Filialen in Cárdenas, Sagua und Cienfuegos (alles aufstrebende Häfen neuer Zuckersklaverei-Regionen Kubas). Da zwei junge Verwandte an Gelbfieber starben und er selbst nicht mehr wollte, überschrieb Jamm die Firma 1859 an den kubanischen Spanier Joaquín Tijero und kam später nach Lahr zurück.“