Lahrer Zeitungen, Badische Zeitung, Lahrer Zeitung, Lahrer Anzeiger

24.07.2008 - „Mit dem Kopf in den Wolken und mit den Beinen fest auf der Erde.“

Der Eurodistrikt Straßburg – Ortenau ist ständig im Wandel. Zuletzt gezeigt in der Sitzung des Eurodistriktrats vom 01. Juli 2008. Die Mitglieder haben beschlossen, „die baldige Erweiterung der Gebietskulisse des Eurodistrikts zu erreichen“. Aktuell besteht er aus dem Ortenaukreis mit rund 1850 Quadratkilometern auf deutscher Seite und der Fläche der Stadtgemeinschaft Straßburg, CUS, mit rund 300 Quadratkilometern auf französischer Seite. Die Menge der jeweiligen Bevölkerung ist auf beiden Rheinseiten in etwa ausgewogen. Geographisch ist der Teil des Eurodistrikts auf deutscher Seite jedoch um einiges größer. Schon seit seiner Gründung 2005 haben viele französische Körperschaften außerhalb der CUS Interesse an einer Beteiligung angemeldet. Auch in Deutschland wünschen sich viele Mitglieder des Eurodistrikts die Erweiterung, denn sie arbeiten seit vielen Jahren eng mit den Nachbarn auf der anderen Rheinseite zusammen.

Wann die Erweiterung stattfinden kann, ist letztlich auch davon abhängig, welche juristische Form der Eurodistrikt in Zukunft haben wird. Seit Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung am 17. Oktober 2005 arbeiten die Mitglieder des Eurodistrikts ausschließlich auf dieser Grundlage ohne juristische Form.

Wie kam es zum Eurodistrikt?
Die Idee, der über Jahrhunderte umkämpften Stadt Straßburg und ihrem Umland eine besondere Rolle zu verleihen, ist bereits in den ersten Nachkriegsjahren entstanden. Straßburg wurde im Folgenden zwar zu einer Hauptstadt Europas, ausgestattet mit verschiedenen Institutionen wie dem Europäischen Parlament oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, blieb aber gleichzeitig eine „ganz normale“ französische Stadt. Und obwohl der Eurodistriktsgedanke immer wieder diskutiert wurde, kamen lange Zeit keine konkreten Schritte zustande.

Erst mit der gemeinsamen deutsch-französischen Erklärung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages am 22. Januar 2003 gaben Gerhard Schröder und Jacques Chirac den Startschuss für einen Eurodistrikt Straßburg-Ortenau.

Was ist der Eurodistrikt?
In dieser Erklärung kommt zwar der Wunsch nach einer fortentwickelten Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden zum Ausdruck, doch der „Eurodistrikt“ blieb vorerst nur ein Wort. Was kann ein Eurodistrikt sein? Welches Gebiet umfasst er? Welche Ziele hat er, welche Kompetenzen? Wie wird er finanziert? Es entstanden Arbeitsgruppen über alle politischen Ebenen. Es gab Abstimmungsgespräche von Straßburg und der Ortenau bis nach Paris, Berlin und Stuttgart.

Lahrs Oberbürgermeister Dr. Wolfgang G. Müller erinnert sich: „Natürlich hatten wir alle schon jahrelange Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, aber in der Regel auf ganz konkrete Vorhaben bezogen. Der Eurodistrikt brachte quasi über Nacht die Möglichkeit, für alle denkbaren Bereiche Visionen zu entwickeln, aber ebenso auch die Verpflichtung, sinnvolle und gleichzeitig machbare Dinge zu identifizieren, abzustimmen und letztendlich durchzusetzen. Wir mussten alle den Kopf in den Wolken haben und mit den Beinen fest auf der Erde stehen.“

Verschiedene Meinungen und trotzdem gemeinsam
Die Gebietskulisse aus Ortenaukreis und Stadtgemeinschaft Straßburg stieß wegen des flächenmäßigen Ungleichgewichts auf deutscher Seite von Anfang an auf Kritik. Denn die elsässischen Nachbargemeinden der südlichen Ortenau wie Erstein, Benfeld oder Rhinau liegen nicht im Eurodistrikt. Auch die Ausgestaltung des vorgesehenen Zweckverbandes war von kontroversen Diskussionen bestimmt. Die damalige Straßburger Stadtspitze reklamierte einen eindeutigen Führungsanspruch für Straßburg als die mit Abstand größte Stadt und wollte sowohl juristischen Sitz als auch Geschäftstelle des Eurodistrikts bei sich ansiedeln. Die Ortenauer Seite pochte auf das Prinzip der Ausgewogenheit und stimmte dem so nicht zu. Intensive Bemühungen um einen Kompromiss hatten keinen Erfolg. Damit ließ sich zunächst kein Zweckverband als feste Rechtsform bilden.

Dennoch entstand eine Kooperationsvereinbarung, die politische Leitlinien nennt, organisatorische Regelungen wie die Bildung eines Eurodistriktrates als Entscheidungsgremium oder die Ernennung der zwei Sprecher sowie prioritäre Handlungsfelder wie Umwelt, Verkehr, Bildung oder Gesundheit. Laut Vereinbarung soll es sich nur um einen ersten Schritt handeln und Anstoß für eine schnellstmögliche Weiterentwicklung geben.

Erreichtes, Fortschritte, Ziele
Auf dieser Grundlage arbeitet der Eurodistrikt seit nunmehr knapp drei Jahren an einer Vielzahl von Projekten, die er teilweise schon erfolgreich zu Ende geführt hat, zum Beispiel die Vorfahrt für deutsche Rettungsfahrzeuge im Département Bas-Rhin, Kooperation der Epilepsiezentren, grenzüberschreitende Handwerkerausbildung, Patientenratgeber oder verschiedene öffentliche Veranstaltungen. Allerdings gibt es immer wieder Grenzen, sei es durch völlig unterschiedliche Rechts-, Politik- und Verwaltungssysteme, das nicht vorhandene eigene Budget oder durch die Abhängigkeit von externen Institutionen bzw. privaten Akteuren wie Krankenkassen, Telefongesellschaften, Verkehrsbetrieben oder Medien. Im besten Fall bedeutet dies, dass ein Projekt nur langsam vorankommt. Es besteht aber auch die Gefahr, dass es ganz oder weitgehend scheitert, selbst wenn der Wille zur Problemlösung bei allen beteiligten Partnern grundsätzlich vorhanden ist.

Trotz dieser Schwierigkeiten und der wegen seiner gewollt kleinen Projekte eher geringen öffentlichen Aufmerksamkeit ist der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau nach einhelliger Meinung von Fachleuten für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zumindest am Oberrhein am aktivsten und produktivsten.

Der im März diesen Jahres neu gewählte Straßburger Oberbürgermeister Roland Ries möchte gemeinsam mit dem deutschen Eurodistriktssprecher Dr. Wolfgang G. Müller weit über das bisher Erreichte hinaus: „Wir wollen mehr als eine gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Wir wollen gemeinsame Entscheidungen, die beiden Seiten des Rheins Nutzen bringen, also Win-Win-Situationen schaffen. Vor allem sollen sich auch unsere Bürger bei den anstehenden Entscheidungen intensiv beteiligen.“