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21.02.2024 - Symposion zum 250. Geburtstag von Georg Heinrich von Langsdorff Der vergessene Naturforscher

Zum 250. Geburtstag des Weltumseglers, Expeditionsleiters und kaiserlich- russischen Generalkonsuls von Brasilien Georg Heinrich von Langsdorff veranstaltet die Stadt Lahr von Donnerstag bis Sonntag, 18. bis 20. April 2024, ein internationales Symposium über deutsche Weltreisende und die transatlantischen Beziehungen im 19. Jahrhundert.

Den einen kennen alle, den anderen kennt niemand. Georg Heinrich von Langsdorff (1774-1852) wäre gerne so berühmt gewesen wie sein Zeitgenosse Alexander von Humboldt. Warum auch nicht? Schließlich war er einer der am weitesten gereisten Männer seiner Zeit, den Entdeckerdrang und Wissensdurst in die extremsten Klimata und Landschaften der Erde geführt hatten, dessen weit gestreute Kenntnisse auf den Gebieten der Medizin, Botanik, Zoologie, Landwirtschaft, Geographie, Ethnographie und Linguistik schon zu zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Empfehlungen der praktischen Nutzanwendung geführt hatten. Und er hatte sich dem gestellt, was Humboldt auf seiner Südamerikareise von 1799-1804 nicht in Angriff hatte nehmen können – der Erforschung Brasiliens.

Portugal hatte seine Kolonie mit einer rigiden Einreisepolitik vor fremden Einflüssen abgeschirmt, woran sich auch nach der Unabhängigkeitserklärung 1822 zunächst nichts ändern sollte. Aber Langsdorff war hartnäckig. Nach einer wissenschaftlichen Weltreise im Dienste Russlands ließ er sich 1812 als erster russischer Generalkonsul im brasilianischen Rio de Janeiro einsetzen, das Ziel der Erforschung dieses riesigen Landes immer vor Augen. Wegen seiner Landeskenntnis wurde er sehr bald der Gewährsmann aller nach Brasilien kommenden europäischen Naturforscher und Ethnologen. 1820 veröffentlichte er erst auf Französisch, dann auf Deutsch ein Handbuch für Auswanderer, mit der Perspektive, nahe Rio eine Mustersiedlung aufzubauen, und erhielt gleichzeitig die ersehnte Bestätigung aus St. Petersburg, dass Russland die Kosten für eine Expedition übernehmen werde.

Zwischen 1822 und 1829 erkundete die Langsdorff-Expedition das Land in vier Etappen so gründlich wie keine zuvor und entdeckte dabei viele Arten, deren Bezeichnung nicht selten den Zusatz Langsdorffensis trägt. Und doch reichte die stattliche Ausbeute von umfangreichen Pflanzen- und Tiersammlungen, Zeichnungen, Aquarellen und 1400 akribischen Tagebuchseiten nicht für einen Ehrenplatz unter den Naturforschern. Warum haben die einen Erfolg und die anderen nicht?

Dass bei Langsdorff die ganz große Anerkennung seiner Zeitgenossen ausblieb, ist in mehrfacher Hinsicht erstaunlich. Schon seine Expeditionsberichte von der ersten russischen Weltumseglung hatten ihm nicht nur den Titel des Hofrats bei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg eingetragen, sondern auch so viel Aufmerksamkeit erregt, dass Herman Melville sich davon für seinen Südseeroman „Taipi“ inspirieren ließ. Auch die Brasilienexpedition erfüllte glänzende Voraussetzungen für späteren Nachruhm. Als Zeichner heuerte Langsdorff den erst 19-jährigen Maler Johann Moritz Rugendas an, der sich jedoch bald mit ihm überwarf. Die Zeichnungen, die dieser auf der Reise angefertigt hatte, wurden später berühmt – Humboldt half bei der Veröffentlichung. Der Ersatzzeichner, den Langsdorff für Rugendas einstellte, war sogar noch erstaunlicher. Hercule Florence war nicht nur Maler und entwickelte während der Expedition ein System zur Aufzeichnung tierischer Laute, sondern erfand ein neues Druckverfahren und – vor Daguerre – die Fotografie. Letzteres allerdings ähnlich glücklos wie Langsdorff. Europa nahm von Entdeckungen im fernen Brasilien keine Notiz.

Langsdorff kam 1830 nach Deutschland zurück, in die südbadische Provinz, wo sich in Lahr ein Großteil seiner Familie niedergelassen hatte. Gesundheitlich durch Malaria und Fleckfieber geschwächt und zudem in seinen intellektuellen Fähigkeiten stark eingeschränkt, lebte er bis zu seinem Tod 1852 in Freiburg. Sein Nachlass liegt in den Archiven in St. Petersburg, im ehemaligen Leningrad, wo 1974 zu seinem 200. Geburtstag ein großes, im Westen allerdings kaum beachtetes Symposium zu Langsdorff veranstaltet wurde. Heute verhindert der russische Angriffskrieg auf die Ukraine den Zugriff westlicher Forschender auf den in jeder Hinsicht interessanten Nachlass.

Zum 250. Geburtstag Georg Heinrich von Langsdorffs organisieren Prof. Dr. Ottmar Ette und Dr. Wolfgang G. Müller in Lahr ein internationales Symposium über den zu Unrecht übersehenen Naturforscher des 19. Jahrhunderts, der sich auch als Arzt und Diplomat einen Namen machte. Langsdorffs Wege kreuzten sich auf vielfältige Weise mit denen Alexander von Humboldts.

Der Romanist und Komparatist Prof. Dr. Ottmar Ette ist Direktor des Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS) an der Hunan Normal University in Changsha, China, sowie Leiter eines langjährigen Forschungsprojekts über Humboldt an der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg. Zudem ist er Honorary Member der Modern Language Association mit Sitz in New York. In seinem Vortrag wird er Langsdorffs Wirken im Kontext der Forschungsreisen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts darstellen.

Dr. Wolfgang G. Müller war von 1997 bis 2019 Oberbürgermeister der Stadt Lahr. Zuvor war der Sozialwissenschaftler unter anderem Berater bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) in Brasilien und El Salvador, Vorsitzender beziehungsweise Stellvertreter des Ausschusses für Handel, Industrie und Unternehmensentwicklung der Wirtschaftskommission für Europa bei den Vereinten Nationen (ECE/UN) in Genf, Wirtschaftsreferent an der Deutschen Botschaft in Brasilia sowie im Bundesministerium für Wirtschaft Referent in der Grundsatzabteilung und der internationalen Abteilung. Er war seit 2004 zudem einer der Vizepräsidenten der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft (DBG) und ist jetzt einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden ihres Kuratoriums.

Der Historiker Prof. Dr. Michael Zeuske vom Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS) an der Universität Bonn wird Erhellendes darüber berichten können, warum die begleitende Ausstellung in der Villa des Lahrer Kaufmanns Christian Wilhelm Jamm (1809-1875) stattfindet, der in den 1850er Jahren auf Kuba sehr erfolgreich vom atlantischen Sklavenschmuggelhandel profitierte, indem er den Sklavenhändlern und Sklaven-Plantagenbesitzern Luxusstoffe und Waren aus Europa verkaufte. Zeuske, dessen Sachbuchbestseller „Handbuch Geschichte der Sklaverei“ sowie „Afrika-Atlantik-Amerika“ den Sklavenhandel von Afrika in die Karibik beleuchten, wird zur Tagung neue Erkenntnisse aus Kuba mitbringen, wo er sich gerade auf Feldforschung befindet.

Die erwähnte Ausstellung in der Villa Jamm ist Teil des Begleitprogramms zum Kongress. Die brasilianische Künstlerin Aline Xavier Mineiro, die 2022 Stipediatin der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart war, konnte für ihre ausgestellte Arbeit „Die Langsdorff-Expedition – Vor deinen Augen“ auf den derzeit unzugänglichen, in St. Petersburg aufbewahrten Nachlass des Weltreisenden zugreifen.

Ebenfalls in der Villa Jamm findet eine Lesung statt mit José F.A. Oliver, Schriftsteller, Übersetzer und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, sowie mit Rafael Angel Herra, Schriftsteller und Philosoph aus Costa Rica.

Eine Podiumsdiskussion unter der Leitung von Prof. Dr. Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik wird sich den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika widmen. Als Gäste angefragt sind unter anderem Anna Cavazzini, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Dr. Georg Witschel, Botschafter a.D. und Präsident der deutsch-brasilianischen Gesellschaft.