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07.08.2017 - Oberbürgermeister Dr. Müller Im Alltag ist Europa schwierig

Probleme im grenzüberschreitenden Geschäftsleben sollen als Pflichtaufgabe auf die Tagesordnung des Eurodistrikts

Die Grenzen in Europa sind offen aber nicht für alles. Die sogenannten Entsenderegeln, die nun noch verschärft werden sollen, machen es deutschen Handwerkern, Dienstleistern und Industriebetrieben zunehmend schwerer, in Frankreich zu arbeiten. Unternehmen, die Mitarbeiter für vorübergehende Arbeiten nach Frankreich schicken, sind nach dem Entsendegesetz seit August 2015 verpflichtet, dies vor der Aufnahme der Arbeiten der zuständigen Arbeitsmarktinspektion zu melden. Seit Oktober 2016 gab es bereits mehrere Verschärfungen dieses Gesetzes, die massiven bürokratischen und zunehmend auch finanziellen Aufwand für deutsche Firmen zur Folge haben. Bis dahin war die Mitarbeiterentsendung nach Frankreich meist noch kostenlos. Das ändert sich nun und hat zur Folge, dass viele deutsche Betriebe die Kosten an ihre Kunden weitergeben müssen oder andere Konsequenzen, bis hin zum Rückzug aus dem französischen Markt, ziehen müssen.

Auf edem Bild sind Dachdecker bei der Arbeit auf einem Ziegeldach zu sehen. Zwei Männerbefinden sich auf einem Gerüst, das am Haus aufgestellt wurde. Am rechten Bildrand ist ein blaues Sicherheitsnetz zu sehen.Auf dem Ziegeldach sind zwei weitere Männer bei der Arbeit.
Dachdecker bei der Arbeit
Quelle: rosendahl Gmbh

Lahrs Oberbürgermeister Dr. Müller möchte die Thematik auf die Tagesordnung der nächsten Vorstandssitzung des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau setzen lassen. „Von deutschen Regierungsstellen sind – wohl aus Rücksichtnahme gegenüber der neuen französischen Regierung – keine Aktivitäten wahrnehmbar. Es kann nicht sein, dass Paris und Berlin Erklärungen über eine noch engere Zusammenarbeit abgeben und die Wirklichkeit vor Ort zeigt gerade das Gegenteil. Da ist unser Eurodistrikt als kommunale Vereinigung, die rund eine Million Menschen repräsentiert, geradezu prädestiniert, sich dieses Vorgangs anzunehmen. Schließlich ist eines seiner wesentlichen Ziele, grenzbedingte Hürden abzubauen und das grenzüberschreitende Leben der Bürger spürbar zu erleichtern. Dazu ist natürlich auch die Wirtschaft mit dem hier besonders betroffenen Bauhandwerk zu zählen, deren Betriebe unter Protektionismus gepaart mit Überbürokratisierung zu leiden haben. Wie wir dabei am erfolgversprechendsten vorgehen können, wäre noch mit dem Präsidenten des Eurodistrikts, Landrat Frank Scherer, und dem Vizepräsidenten, Oberbürgermeister von Straßburg Roland Ries, abzustimmen. Vielleicht kann dies auch gemeinsam mit Infobest und dem Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz erfolgen. Bei diesen Beratungsstellen sind die am Eurodistrikt beteiligten Akteure beiderseits des Rheins größtenteils ebenfalls eingebunden.“

 

Dass dringender Handlungsbedarf besteht, bestätigen die Ergebnisse einer Umfrage der IHK Südlicher Oberrhein zu der geplanten Verschärfung der Entsenderegeln in Frankreich. IHK-Präsident Dr. Steffen Auer: „Für 95 Prozent der 350 Betriebe, die an der Umfrage teilgenommen haben, stellen die Entsendungsformalitäten eine bürokratische Hürde dar, die den Ablauf ihrer Geschäfte behindert.“ Die IHK ist bereits in Gesprächen mit der französischen Arbeitsinspektion und dem französischen Arbeitsministerium, um eine Vereinfachung bei der Entsendung zu erreichen. Auer: „Wir freuen uns, wenn sich der Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau bei nächster Gelegenheit mit der Problematik befasst. Dies unterstützt unsere Bemühungen.“ Mit der Kammer im Elsass, der CCI de Strasbourg et du Bas-rhin, ist die IHK Südlicher Oberrhein ebenfalls schon in engem Kontakt.

 

Laut IHK-Umfrage haben aufgrund der komplizierten Formalitäten schon jetzt 30 Prozent der befragten Unternehmen ihre Geschäfte in Frankreich zurückgefahren, weitere denken darüber nach, dies zu tun. „Das ist ein wirklicher Rückschritt, sagt OB Dr. Müller, „Hier werden Unternehmen behindert und das gute nachbarschaftliche Verhältnis beeinträchtigt.“

 

Grenzüberschreitendes Zusammenleben zwischen Deutschland und Frankreich ist in der Region Normalität: der Einkaufsbummel in Straßburg oder umgekehrt in Kehl oder Offenburg, gegenseitig Freizeitangebote nutzen oder Feste besuchen, wie beispielsweise die Chrysanthema in Lahr. Ebenso normal ist auch die Beauftragung von Unternehmen auf der anderen Rheinseite. Mirko Lauckner, Geschäftsführer der Dachdeckerfirma rosendahl GmbH in Kehl, hat schon viele Dächer in Straßburg und Umgebung gedeckt: „Die französischen Kunden beauftragen uns gerne“, sagt er aus Erfahrung, „Sie schätzen unsere Fachkenntnis und unsere Arbeitsweise und suchen sich ganz bewusst den deutschen Handwerker, der für gute Qualität, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit steht.“

 

Doch es wird für ihn zunehmend schwieriger in Frankreich zu arbeiten. „Die bürokratischen Hürden sind hoch, die finanziellen ebenso und sie sollen demnächst noch höher werden. Für jeden Mitarbeiter müssen wir eine „Carte BTP“ zur Identifikation beantragen - für jeden Mitarbeiter und für jede Baustelle neu.“ Im Moment kostet diese Karte pro Mitarbeiter 10,80 Euro, ab nächstem Jahr sollen nochmals 40 Euro Entsendegebühr pro Mitarbeiter hinzukommen. „Das müssen wir auf unsere Preise umlegen und ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob unsere Kunden dafür Verständnis haben werden.“ Außerdem, so Lauckner, seien die Internetportale, auf denen zum Beispiel die Carte BTP zu beantragen ist, oder auch Sipsi, das Portal für die Anmeldung der einzelnen Baustellen, ausschließlich auf Französisch, eine weitere Hürde, die seine Arbeit sehr behindert.

 

Sein Geschäft zählt derzeit 13 Mitarbeiter, dazu er und zwei weitere im Büro, gerne möchte er seine Kunden in Frankreich auch in Zukunft bedienen: „Wir arbeiten gerne in Frankreich und schätzen diese Aufträge sehr, doch wir können nicht mehr jeden Auftrag annehmen, weil der bürokratische Aufwand einfach zu hoch ist.“ Hinzu kommen Probleme bei der Beschaffung von Material: „Aufträge für Flachdächer können wir leider gar nicht annehmen, weil in Frankreich bestimmtes Material verwendet werden muss, das an deutsche Handwerker nicht geliefert wird“, erklärt er und macht keinen Hehl daraus, dass die aktuellen Zustände in diesem Bereich mit einem geeinten Europa seiner Meinung nach nicht viel zu haben. „Ich kann den Vorstoß von Oberbürgermeister Dr. Müller nur begrüßen. Ich hoffe sehr, dass sich der Eurodistrikt der Sache annimmt.“

 

OB Dr. Müller: "Wir tun Europa keinen Gefallen, wenn auf höchster Ebene die Regierungschefs Macron und Merkel freundliche Vereinbarungen treffen, aber im kleinen Grenzverkehr neue Beschwernisse aufgebaut werden. Das schadet auch dem Eurodistrikt. Unser Ziel muss sein, dass Politik und Praxis, dass Worte und Handeln im Einklang stehen. Die grenzüberschreitenden Verbindungen machen Europa viel mehr aus als Regierungserklärungen."