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24.02.2023 - Statement von Oberbürgermeister Markus Ibert nach einem Jahr Krieg in der Ukraine Solidarität und Stabilität – Lahr hilft

Oberbürgermeister Markus Ibert
Oberbürgermeister Markus Ibert
Quelle: Michael Bode/Stadt Lahr
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor einem Jahr haben zahlreiche geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Lahr Zuflucht gefunden. Oberbürgermeister Markus Ibert bedankt sich bei allen Lahrer Bürgerinnen und Bürger für ihre unvermindert große Hilfsbereitschaft.

„Mit Solidarität und Stabilität begegnet die Lahrer Stadtgesellschaft der Herausforderung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Mit Solidarität, weil die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt Bemerkenswertes leisten: für Menschen, die bei uns Zuflucht vor diesem furchtbaren Krieg suchen, ebenso wie für Menschen in der Ukraine, die der Bedrohung unmittelbar ausgesetzt sind. Mit Stabilität, weil wir nicht zulassen, dass die militärische Aggression Russlands einen Keil in unsere Stadtgesellschaft treibt. Beides erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit – und zugleich macht mich fassungslos, dass das Blutvergießen und das unermessliche menschliche Leid nun schon seit einem Jahr andauern, ohne dass ein Ende in Sicht ist.

Meine Haltung zu diesem Krieg ist unverändert: Das Vorgehen der russischen Regierung ist auf das Schärfste zu verurteilen. Sie ist in diesem Konflikt der Aggressor, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt. Ihre Drohung gilt dabei nicht nur der Ukraine, sondern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Europa. Autokratien wie Russland fürchten den Erfolg von Demokratien und deren Wertesystem, das auf freier Meinungsäußerung und Persönlichkeitsentfaltung basiert. Denn in solchen offenen Gesellschaften sehen sie zu Recht eine Bedrohung, die ihr Regime destabilisieren kann. Der massiven Ablehnung und Aggressivität, mit der sie uns begegnen, stellen wir uns in großer Geschlossenheit entgegen.

Wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung, uns gegen den Krieg zu positionieren und besonders die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung mit aller Entschiedenheit zu verurteilen. Mein Mitgefühl und meine Solidarität gelten allen Menschen in der Ukraine, die sich der Bedrohung ausgesetzt sehen, aber auch den Menschen in Russland, die diesen Krieg ablehnen und ebenfalls um ihre Sicherheit bangen. Ebenso bin ich in meinen Gedanken bei allen Bürgerinnen und Bürgern aus Lahr und dem Umland, die in großer Sorge um ihre Verwandten, Freundinnen und Freunde im Konfliktgebiet sind.

Ich bin überwältigt und dankbar, mit wieviel Energie und Herzlichkeit, Zeit und auch Geld sich die Lahrerinnen und Lahrer für die Menschen aus der Ukraine einsetzen – beispielsweise im Verein Gemeinsam Europa e.V., im Freundeskreis Flüchtlinge Lahr, im städtischen Dolmetscherpool oder in vielen anderen Vereinen, Organisationen und Initiativen. Einige von ihnen rufen zu Spendenaktionen auf und fahren an die polnisch-ukrainische Grenze, um Güter zu übergeben und Menschen bei der Flucht zu helfen. Viele weitere Bürgerinnen und Bürger helfen mit Sach- und Geldspenden oder auch, indem sie Wohnraum zur Verfügung stellen. So ist es in Lahr gelungen, dass fast alle geflüchteten Menschen aus der Ukraine auf dem privaten Wohnungsmarkt untergekommen sind.    

Die Stadtverwaltung unterstützt das vielfältige zivilgesellschaftliche Engagement mit einer Koordinierungsgruppe für die Ukraine-Hilfe, die Anfragen bündelt und Initiativen miteinander vernetzt. Ziel ist, dass Hilfsangebote möglichst effizient organisiert werden und dadurch ihre volle Wirkung entfalten können. Auch für die Verwaltung ist es ein Kraftakt, die aktuelle Situation zu bewältigen: Die Ausländerbehörde stößt aufgrund der aufwendigen Verfahren an ihre Kapazitätsgrenzen, es gibt derzeit keine freien Betreuungsplätze für Kleinkinder, und bei den Sprach- und Integrationskursen, für die sowohl Räumlichkeiten als auch Dozentinnen und Dozenten fehlen, ist die Warteliste lang. Wir werden weiterhin große Anstrengungen auf uns nehmen, um die Menschen, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen, so gut wie möglich zu unterstützen.

Umso wertvoller ist weiterhin das beeindruckende ehrenamtliche Engagement hier in Lahr, zu dem – dies möchte ich ausdrücklich betonen – Bürgerinnen und Bürger aus der gesamten Stadtgesellschaft beitragen. Als der Angriffskrieg vor einem Jahr begann, waren auch wir in Lahr mit einer neuen und ungewissen Situation konfrontiert. Würde sich die militärische Aggression auch auf unser Zusammenleben auswirken? Zunächst gab es in der Tat einige Anlässe, die uns zu denken gaben. So wurde etwa vereinzelt das Kriegssymbol „Z“ auf Häuserwände gesprüht, es kam zu Konfliktsituationen an Schulen, und die ukrainische Flagge, die wir als Zeichen der Solidarität gehisst hatten, wurde vom Rathaus abgerissen.

Dennoch waren wir seitens der Stadtverwaltung von Anfang an zuversichtlich, dass die Lahrer Stadtgesellschaft auf die neue Situation insgesamt besonnen und solidarisch reagieren würde. Schließlich blicken wir auf eine fast 30-jährige Integrations- und Erfolgsgeschichte der Deutschen aus Russland, unserer Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Lahr zurück. Sie sind als Bindeglied zwischen der deutschen und der russischen Kultur ein willkommener und unverzichtbarer Teil der Lahrer Bevölkerung. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger dürfen weder für einen Krieg, den die russische Regierung zu verantworten hat, in Haftung genommen noch anderweitig pauschal verurteilt werden. Mein Eindruck ist, dass dies auch nicht erfolgt – zumal wir nach einem Jahr bilanzieren können, dass öffentliche Sympathiebekundungen zugunsten des russischen Kriegskurses in Lahr nahezu ausgeblieben sind. Vielmehr erleben wir, wie engagiert sich auch zahlreiche Deutsche aus Russland in unserer Stadt für die Menschen aus der Ukraine einsetzen und ihnen beistehen.

Die vergangenen zwölf Monate haben damit erneut bewiesen: Lahr steht in ganz besonderer Weise für ein friedliches und solidarisches, in jeder Hinsicht gewaltfreies Zusammenleben, geprägt von Respekt vor anderen Kulturen und Nationalitäten. Wir werden auch weiterhin alle Herausforderungen, vor die uns der Krieg in der Ukraine stellt, gemeinsam meistern.“