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30.09.2022 - Kreativ, vielseitig und niedrigschwellig – das Artists-in-Residence-Programm in Lahr Bilanz der Villa Jamm Artists 2022

Pura Vida – übersetzt „pures Leben“: Unter diesem Motto steht das diesjährige Artist-in-Residence-Programm „Villa Jamm Artists“ des Kulturamts Lahr. Gleichzeitig war dies der Titel der Ausstellung costa-ricanischer Künstlerinnen und Künstler, die während des gesamten Zeitraums im Erdgeschoss und im Gewölbekeller der Villa Jamm gezeigt wurde.

Vertreten waren altbekannte Künstler wie Leda Astorga und neue Namen wie Domingo Ramos oder Herbert Zamora. Sie zeigten insgesamt 20 Skulpturen, elf topografisch aufgebaute Papiercollagen und eine Serie mit 15 Porträts von Menschen aus Costa Rica. Die Ausstellung, bei der auch einige Werke ihren Besitzer wechselten, sollte bereits im vergangenen Jahr gezeigt werden, wurde aber pandemiebedingt verschoben. Initiiert wurde sie vom Freundeskreis Alajuela-Lahr unter der Leitung von Marlies Llombart.

Auch rund um Otto Nicolais Shakespeare-Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ unter der musikalischen Leitung von Michael Güttler wurde der zentrale Grundgedanke der Villa Jamm Artists in buntem, kreativem Leben deutlich: International aktive Profis und künstlerisch Interessierte aus der Region fanden für ein gemeinsames Projekt zusammen. International bekannte Opernsänger wie Oscar de la Torre oder Frederik Baldus probten und musizierten gemeinsam mit den Berufsmusikerinnen und Berufsmusikern der Stuttgarter Philharmoniker und den Sängerinnen und Sängern des ortsansässigen Chores Liederkranz. Interessierte konnten den Proben jederzeit beim Schlendern durch den Stadtpark beiwohnen oder an einem der angebotenen Workshops zum Koloraturensingen teilnehmen. Alle Angebote und Aufführungen waren kostenlos. Die Niedrigschwelligkeit gehört zum Konzept der Villa Jamm Artists, weshalb fast jeder teilnehmende Künstler neben dem eigenen kreativen Schaffen auch kostenlose Workshops angeboten hat.

Der Comedian, Musiker und Bauchredner Tobias Gnacke zauberte bei seinen Besuchen in Alten- und Pflegeheimen im Juli in Begleitung seiner frechen Bauchrednerpuppe Pinguin Richard mit einem humorvollen Programm über Hits und Stars der 1950er bis 1970er Jahre zahlreichen Menschen ein Lächeln ins Gesicht.

Iris May holte mit ihrem historisch-philosophischen Audiowalk Lahrs größten Stifter und Stadtparkgründer Christian Wilhelm Jamm zurück ins Leben und machte den Stadtparkrundgang zu einem Erlebnis mit noch mehr Sinnen.

Im Juli schallten die Naturtöne der Alphörner durch den Park. Sie wurden beim Zusammentreffen von Alphornbläserinnen und Alphornbläsern aus dem gesamten süddeutschen Raum und der Schweiz erzeugt. Auch die Schülerinnen und Schüler des GrooveLabs der Städtischen Musikschule Lahr bewiesen bei Proben in der Villa ihr Können und luden zum Mitmachen und Schnuppern ein. Bei dem in Lahr entwickelten Unterrichtskonzept haben die Schüler die Möglichkeit, sich selbstständig oder mit anderen an verschiedenen Instrumenten und Aufgaben auszuprobieren, wobei die Lehrkräfte Impulse zum Üben geben.

Gesine Dankwart und Sabrina Zwach – gemeinsam die „Chez Company“ – sprachen im August unter dem Titel „The Making of Ich“ über Einflüsse auf das menschliche Handeln und Fühlen. Dazu entwickelten sie ein filmisch-szenisches Format, das sich mit den Fragen „Warum sind wir so geworden, wie wir sind?“ oder „Können wir alles werden, was wir wollen?“ beschäftigt. Die „Schreibwerkstatt“ mit Heinrich-Böll-Preisträger José Oliver lockte in der mehrteiligen Reihe immer mehr Interessierte an, die sich zum Schreiben unter seiner professionellen Anleitung inspirieren ließen.

Die Koordinierung des Programms übernahm ein engagiertes Projektleiterduo mit Schauspielerin und Sängerin Annika Stumpp und dem ehemaligen Bezirkskantor Hermann Feist, die sich beide auch selbst künstlerisch einbrachten. So gab Hermann Feist, Klavier und Kontratanz, gemeinsam mit seiner Schwester Hanna Feist, Sopran und Flöte, ein Vogelkonzert von der Lerche über den Fink bis zum Storch – mit Kompositionen von Antonio Vivaldi, Hermann Regner, Max Reger oder Jules Mouquets und Texten von Theodor Storm, Heinrich Seidel und Richard Dehmel.

Ungeachtet dessen hat sich einmal mehr ein enormer organisatorischer Aufwand gezeigt, der hinter diesem Großprojekt mit Beiträgen zahlreicher Einzelpersonen steckt. Wegen Krankheiten, Trauerfällen oder fehlender Absprachen kam es wiederholt zu Verschiebungen und Absagen, die ein spontanes Umplanen nötig machten. So sprang Kurt Hockenjos im Juni für die Bildende Künstlerin Renate Henninger ein, und im Juli vertrat kurzfristig das Saxophon-Ensemble der Stadtkapelle Lahr die eingeplanten Künstler Radmila Besic und Dietrich Kramer („La Biondina in Gondoletta“) bei der Midissage der Ausstellung Pura Vida. Die Teilnahme des iranischen Maha Tanzprojektes („Die Melodie des Fadens“) musste ersatzlos gestrichen werden. Der Künstler Ulrich Dibbern richtete als Alternative für die Sonntagsworkshops spontan eine Masterclass zum Thema „Ein alter Stuhl wird zum Kunstobjekt“ ein. Ohne die engagierten und spontanen Projektleitenden wäre das personalintensive Festival nicht realisierbar gewesen.

Neben den darstellenden Künstlern nutzten vor allem zahlreiche Bildende Künstler den Sommer in der Villa Jamm für kreative Prozesse. Bei moderierten Künstlergesprächen, Vernissagen oder kostenlosen Workshops erfuhren die Besucherinnen und Besucher Interessantes über die unterschiedlichen Arbeitsweisen. Die offenen Türen der Ateliers luden Interessierte dazu ein, den Künstlern über die Schultern zu schauen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

So beschäftigte sich Mayjia Gille während ihres Aufenthalts im Juni in abstrakten Bildern mit den „Wendepunkten“ in ihrem Leben. Kurt Hockenjos ließ sich von der Botanik inspirieren und experimentierte mit einfachen Linien. Marianne Hopf brachte teils düstere und großformatige Darstellungen von Landschaften, Gebirgen oder Gegenden auf Leporellos, die auf diese Weise den Betrachtenden imaginäre Spaziergänge in der Villa erlaubten. Die Tuschetechnik mit dem Schwamm ist die Arbeitsweise, bei der sich Heinz Treiber im Juli von den Besuchern über die Schultern schauen ließ. Cornelia Scherzer demonstrierte im August vorrangig ihre Arbeitsweise der gestischen Malerei und eine Mischung aus Farbauftrag und plastischer Oberflächengestaltung. Christine Beiser bewies ihre Verbundenheit zur Natur, indem sie menschliche Köpfe in ihren teils gezeichneten, teils gemalten Werken mit der Landschaft verschmelzen ließ. Beate Axmann zeigte Wilhelm Jamm in expressiv zeichnerischen Gesten aber auch abstrakte Impressionen auf runden Holzscheiben oder verknüpfte gar bemaltes Papier und feine Drahtgespinste zu luftigen Skulpturen. Zu sehen war auch ihre Ausstellung „So far, so close“. Jan Gines Alvarez, sowohl Bildender Künstler als auch Musiker, griff mit seiner Streetart ethische und gesellschaftliche Fragen wie „Haben Tiere Rechte?“ auf. In seinen großen, bunten und aussagekräftigen Modellen regte er mit Ironie und Sarkasmus zum Nachdenken und Diskutieren an. Bei ihrem gemeinsamen Künstlergespräch servierten die beiden September-Artisten Axmann und Alvarez gleichzeitig eine Liveperformance mit Malerei und Musik.

Hermann Feist resümiert über seine Erfahrungen mit dem Artists-in-Residence-Programm: „Die Villa Jamm erwacht aus dem Dornröschenschlaf, in den sie nach dem Auszug des Stadtmuseums gefallen war: Mit dem Charme des altehrwürdigen Gebäudes sind die vielfältigen Aktionen, die künstlerische Arbeit und die das Haus schmückenden Ausstellungen vielen Menschen zu einem kostbaren kulturellen Schatz geworden. Zunehmend ist es gelungen, die Künstler mit der Bevölkerung in Kontakt und Austausch zu bringen, die öffentliche Malwerkstatt wurde zur verlängerten ‚Werkbank‘. Immer häufiger mischten sich Musik und Malerei, Gespräche und Werken, Staunen und Mitmachen.“

Ein Höhepunkt der Villa Jamm Artists steht noch bevor: Das Musiktheaterkollektiv „Hauen und Stechen“ mit der Dramaturgin Maria Buzhor, der Regisseurin Julia Lwowski sowie vielen international agierenden Musikern zeigt am Freitag, 7. Oktober, und Samstag, 8. Oktober 2022, jeweils ab 17 Uhr eine Opern-Performance mit mehreren Stationen auf den Spuren der Mystikerin und Populistin Jeanne d’Arc, im Titel der Performance „Schön dark“ – also „schön dunkel“ – genannt. Treffpunkt für die „Heldinnen-Utopie im Dunkeln“, bei der maximal 50 Teilnehmende zugelassen werden können, ist jeweils die Villa Jamm. Die Gratistickets sind im KulTourBüro im Alten Rathaus erhältlich.

Die Villa Jamm Artists 2022 werden unterstützt und gefördert von: Fonds Darstellende Künste, Programm „FreiRäume“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes, Sparkasse Offenburg/Ortenau, Andreas und Ute Kohm Stiftung, Schünemann Stiftung, Schöffel Stiftung, TRI AG und EDEKA Kohler.