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15.01.2021 - Objektgeschichten aus dem Stadtmuseum Lahr Was ist eigentlich ein Zeitrechner?

Die Reihe „Objektgeschichten aus dem Museum“ stellt jeweils ein Objekt aus der Ausstellung des Stadtmuseums Lahr in den Mittelpunkt.

Bei dem dritten Exponat der Reihe steht nun ein Zeitrechner im Fokus. Das Exemplar stammt aus der Firma Zentgraf & Franck, die zwischen 1867 und 2013 Kartonage-Produkte herstellte.

Was verbirgt sich hinter einem Zeitrechner?
Die Geschichte der modernen Welt ist eng mit der Geschichte der Zeitmessung verbunden. Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Zeiteffizienz oder Zeitkalkül sind dem Menschen nicht angeboren, sondern wurden ihm über Jahrhunderte anerzogen. Und das so erfolgreich, dass wir heute in der Regel gar nicht mehr darüber nachdenken.

Eine der ersten Institutionen, die eine Reglementierung der tageszeitlichen Abläufe vorgab, war die Kirche. Bereits im Mittelalter entwickelten Mönchsorden strenge Zeitprotokolle, die ihren Alltag regelten. Für das Bürgertum der sich entwickelnden Städte wurde Zeitdisziplin eine herausragende Eigenschaft, während sich die Landbevölkerung noch lange nach den natürliche Tages- und Jahresabläufen richtete und „mit den Hühnern ins Bett ging“. Ab dem späten 18. Jahrhundert schließlich begann auch der Staat seine Beamten und Angestellten durch geeignete Apparaturen zu überwachen. In Amtsstuben tauchten nun spezielle Uhren auf, in die Beamte bei Ankunft spezielle Marken einwarfen. Polizisten und Nachtwächter mussten fortan auf ihren Rundgängen Kontrolluhren bedienen.

Besonders aber für die nun tausend- und millionenfach in die neuen Fabriken strömenden Fabrikarbeiterinnen und –arbeiter wurde die immer präzisere Überwachung der Arbeitszeit bald Alltag. 1879 ließ sich der Schwenninger Uhrmacher und Fabrikant Richard Bürk einen “Arbeiter-Kontrollapparat“ patentieren, mit der sich die Anwesenheit in der Fabrik protokollieren ließ. 1897 folgte ein sogenannter „Billeteur“, ein aus Amerika stammendes System, das Stempelkarten bedruckte. Nachdem der amerikanische Lizenzschutz in den 1920er Jahren ausgelaufen war, wurde Bürg zum größten deutschen Kontrolluhrhersteller. Heute würde man von einem „hidden champion“, einem unbekannten Weltmarktführer sprechen.

Das System der Stempel- und Stechuhren wurde immer weiter perfektioniert. Im Laufe des 20. Jahrhundert konnten moderne Stempeluhren kleine Pausen erfassen oder auch zu spätes Erscheinen am Arbeitsplatz durch den Wechsel der Stempelfarbe markieren.

Das neue Zeitregiment der Industriearbeit wurde schnell zum Zeichen der neuen Zeit. „Zeit ist Geld“ und „Müßiggang aller Laster Anfang“ wurden zu geflügelten Sätzen in einer Epoche, die den Menschen beibrachte, dass er kaum noch Herr seiner eigenen Zeit ist. Die Stempeluhr am Fabriktor wurde gehasstes Symbol der Moderne, zumal sie häufig die Arbeitnehmer benachteiligte: Stempelten sie zu früh, wurde das häufig nicht berechnet, doch jede Minute zu spät wurde dem Lohn abgezogen. Doch lernten sie auch die Vorteile schätzen: Nun konnten sie gegenüber der Lohnstelle ihre Arbeitszeit unbestreitbar nachweisen.

Die Lahrer Stempeluhr (auch „Kartenapparat“ genannt), die sich im Besitz des Stadtmuseums befindet, stammt aus den 1920er Jahren und ist ein Fabrikat der Firma Bürk. Genau betrachtet handelt es sich bei dem Objekt nicht um eine Stempeluhr, sondern um einen sogenannten „Zeitrechner“. Diese wurden innerhalb der Fabrik etwa in Werkstätten eingesetzt, um einzelne Arbeitsgänge zu erfassen und zu dokumentieren. Dies ist insbesondere bei Zeitakkordarbeit von Bedeutung, aber auch für die Kalkulation der Arbeitsvorgänge. Nicht die gesamte Arbeitszeit wurde also von der Uhr gestempelt, sondern einzelne Arbeitsabläufe und Produktionsschritte. So konnte nachvollzogen werden, ob ein Arbeiter einen Produktionsschritt innerhalb der vereinbarten Akkordzeit vollzogen hatte oder wie lange eine bestimmte Tätigkeit im Durchschnitt dauerte. Bedient wurde sie von den Arbeiterinnen und Arbeitern selbst oder von speziell dafür zuständigen „Saalschreiberinnen“. Das Lahrer Exemplar stammt aus der Firma Zentgraf & Franck, die zwischen 1867 und 2013 Kartonage-Produkte herstellte.