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11.12.2009 - Ein mittelalterliches Rathaus in Lahr?

Es gibt sie noch, jene historischen Entdeckungen an scheinbar altbekannten Objekten in Lahr. Das Alte Rathaus gehört zu diesen Objekten, es schien nicht nur altbekannt, sondern wohl auch zu gut bekannt zu sein. So gut, dass sich kaum jemand wunderte. Vor einigen Jahren aber fiel es auf: Hinter der Treppe des Alten Rathauses befindet sich ein zugemauerter Spitzbogen. Aber warum? Waren die Baumeister jenes Gebäudes so ungeschickt, erst eine offene Halle zu bauen, um dann eine Treppe davor zu setzen? Oder – so die nahe liegende Erklärung – war die Treppe jüngeren Datums als das Haus? Wenn dem aber so war, dann ergab sich daraus eine weitgehende Folgerung: Die Jahreszahl „1608“, nach der das Alte Rathaus bis dahin immer datiert wurde, befindet sich nur an der Treppe bzw. dem dazugehörigen Altan. Wenn die Treppe aber jünger ist als das Rathaus, dann ist dieses älter als 1608.

Vor knapp zwei Jahren ergab sich die Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen. Als das Alte Rathaus einen neuen Anstrich bekam, wurde nämlich auch der alte Putz abgeschlagen. Der Lahrer Stadthistoriker Thorsten Mietzner beauftragte in dieser Situation den Freiburger Bauhistoriker Frank Löbbecke mit einer Untersuchung des Rathauses. Jetzt – so war die Vermutung – wo die alten Baunähte freiliegen, müsste sich auch etwas über die einzelnen Bauphasen des Gebäudes sagen lassen.

Was Löbbecke herausbekam, kam einer Sensation gleich: Tatsächlich konnte er zeigen, dass der Altan nachträglich an das Gebäude angesetzt wurde. Auch andere Spuren wiesen darauf hin, dass das Rathaus älter ist und ursprünglich eine frei zugängliche offen Halle im Erdgeschoss hatte. Erst im 17. Jahrhundert wurde dem Haus mit Treppe und Giebel (der übrigens auf 1688 datierbar ist) das heutige repräsentative Äußere verpasst. Damit war klar, dass das Rathaus mindestens ins 16. Jahrhundert gehört. Oder sogar noch früher?

Löbbecke selbst vertritt die Ansicht, dass es sich durchaus auch um einen mittelalterlichen Bau handeln könnte: „In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde die letzte Stadtmauer gebaut und das ganze Viertel um den Urteilsplatz erschlossen. Dies war der richtige Zeitpunkt, das Areal mit den repräsentativen und öffentlichen Gebäuden wie Rathaus oder Stifftsschaffnei auszustatten.“ Doch endgültige Nachweise fehlen noch. Ein Bau zwischen 1500 und 1550 wäre ebenfalls möglich.

Auch das Rätsel der Treppe selbst vermochte Löbbecke überzeugend zu lösen. Vor einigen Jahren hatte Thorsten Mietzner einen Aufsatz veröffentlich, in dem er auf die „Anomalie“ am Rathaus hinwies und zugleich auf ein Bild aus den 1840er Jahren verwies, auf dem die unteren zwei Meter des Treppengeländers aus Eisen bestanden. Er erklärte dies damals mit der Theorie, dass das komplette Geländer erst in jenen Jahren erstellt wurde, also neogotisch sei. Hierfür legte nun Löbbecke eine überzeugendere Erklärung vor: Nach ihm verlief die Treppe (ohne einen Altan) ursprünglich nach Norden. Da die Straße hier ansteigt, brauchte sie hierfür ein kürzeres Geländer. Als die Treppe 1608 nach Süden verlegt wurde, wurde das Geländer, das nun länger sein musste, nur provisorisch aus Eisen verlängert. Erst um 1845 wurden die letzten zwei Meter aus Sandstein hergestellt.

Für den Stadthistoriker hat die Entdeckung Weiterungen: „Ein Rathaus mit einer offenen Gerichtshalle entspricht einem anderen städtischen Verfassungstyp als ein Rathaus mit einem separierten Ratssaal. Der Umbau von 1608 kann den Übergang von einer noch mehr genossenschaftlich organisierten Gemeinschaft, an der alle teilhatten, hin zu einer obrigkeitlichen Verfassung markieren. Da wir aus dieser Zeit kaum schriftliche Quellen haben, ist dies ein wichtiger Hinweis zur politischen Geschichte der Stadt.“

Die Frage aber, ob das Rathaus älter ist als 1500 und damit wirklich mittelalterlich, bleibt zukünftigen Forscherinnen und Forschern vorbehalten. „Man findet nur Antworten auf Fragen, die man stellt“, meint Mietzner. Und diese Frage ist jetzt gestellt.

Wer die Argumentationen und Belege von Frank Löbbecke im Detail nachlesen will, findet hierzu seinen Aufsatz im jüngsten Band des „Geroldsecker Landes“.